- Artikel-Nr.: 978-3-87868-389-6
Zu ihren Lebzeiten umstritten und verfolgt, hat Jeanne-Marie Guyon (1648-1717) eine umfassende geistliche Lehre des inneren Gebets entwickelt. Ihr mystisch geprägtes Denken beeinflusste die innerkirchliche Erneuerungsbewegung im Frankreich des 17. Jahrhunderts. Auch heute noch ermutigt ihre Spiritualität, einen persönlichen Weg zu Gott zu finden.
Ute Egner-Walter betrachtet Madame Guyon zunächst biographisch und im Kontext ihrer Zeit, in der sie Kontakt zu einflussreichen kirchlichen wie weltlichen Funktionsträgern pflegte, etwa zu Bossuet und Fénelon. Dem Quietismus nahestehend, der die passive Hingabe an den Willen Gottes propagierte, wurde Jeanne-Marie Guyon mehrmals eingekerkert, bevor sie schließlich ihre eigene Schule begründete.
Nach ihrer Lehre trägt jeder Mensch eine natürliche Neigung zu Gott in sich. Seine Aufgabe ist es, schon im diesseitigen Leben eine unmittelbare, wesensmäßige Vereinigung mit Gott anzustreben. Diese Vereinigung ist zugleich eine Vereinigung mit der eigenen Mitte.
Im Zentrum ihrer Lehre stehen die drei Wege, auf denen sich Menschen in unterschiedlicher Weise Gott nähern: der aktive Lichtweg, den intellektuelle Anstrengung und spirituelle Oberflächlichkeit prägen; der passive Lichtweg, den Offenbarung und Lichterfahrung, aber auch Eitelkeit auszeichnen; und schließlich der Nachtweg, der allein den Menschen von seiner Egozentrik befreien kann.
Indem dieser mystische Weg die Kräfte des Ego (Verstand, Gedächtnis und Wille) vernichtet, führt er zu neuem Leben in Gott. Sein Grundprinzip heißt: durch das Nichts zum göttlichen Alles.
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Aufgabe eines Menschen nach Mme Guyon ist eine Heimkehr des Menschen in eine unmittelbare, wesensmäßige Vereinigung mit Gott schon in diesem Leben. Diese wesensmäßige Vereinigung beschreibt Mme Guyon auch als eine Vereinigung mit der eigenen Mitte oder dem eigenen Zentrum (SGid S. 55.73). Jeder Mensch ist dazu schon in diesem Leben berufen. So schreibt sie: "Das Ziel, auf das hin wir geschaffen wurden, ist Gott schon in diesem Leben zu verkosten - und man denkt nicht daran!" (SGid S. 91)
Die drei Wege des Menschen zu Gott betrachtet Mme Guyon daher unter dem Gesichtspunkt: inwiefern fördern oder hindern sie den Menschen auf seinem Weg zum Ziel?
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